"Solidarität in Europa und weltweit"
Aus Anlass des 70sten Jahrestags der Veröffentlichung des Schuman-Plans am 9. Mai ruft das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) gemeinsam mit seinen französischen Partnern, der „Initiative Christen für Europa (IXE)“ und den Semaines Sociales de France (SSF), zu mehr Solidarität in Europa und weltweit auf. Gleichzeitig betonen sie ihr Vertrauen in die Kraft und die Möglichkeiten der Gemeinschaft der europäischen Staaten.
Gemeinsam mit weiteren katholischen Verbänden und Partnern aus ganz Europa betonen die Initiatoren, dass es notwendig ist, über die aktuelle Krise hinaus zu schauen und jetzt die Rahmenbedingungen für eine sozial und ökologisch verträgliche globale Zusammenarbeit zu setzen.
Nicht zuletzt die aktuelle Corona-Pandemie habe in den letzten Wochen deutlich gemacht, „wie eng wir in Europa und in der ganzen Welt verbunden sind“, heißt es in der Erklärung, die wir im Wortlaut dokumentieren
Solidarität in Europa und weltweit
Zur Überwindung der Verheerungen des 2. Weltkriegs schlug einer der Gründerväter Europas, der Franzose Robert Schuman, im Mai 1950, also genau vor 70 Jahren, „schöpferische Anstrengungen [vor], die der Größe der Bedrohung entsprechen“. Schuman setzte auf eine „Solidarität der Tat“, die „aus konkreten Tatsachen“ erwachsen sollte. Aus diesem Impuls des überzeugten Christen Schuman ist Europa in seiner jetzigen Form gewachsen und ist nun erneut durch die COVID19-Pandemie herausgefordert.
Überzeugt von den Werten, die uns und unsere Europäische Union tragen und leiten, müssen wir, als christliche Laienbewegungen, aus der gegenwärtigen Situation die richtigen Schlüsse ziehen. Wir sind überzeugt von der Kraft der Gemeinschaft der Europäischen Staaten, die sich in Solidarität und aus freier Entscheidung zusammengeschlossen haben, um Frieden und Wohlstand auf unserem Kontinent und darüber hinaus zu sichern.
Papst Franziskus appellierte in seiner Osterbotschaft 2020, „einen weiteren Beweis der Solidarität zu erbringen, auch wenn wir dazu neue Wege einschlagen müssen.“ Er betont einen „konkret spürbaren Geist der Solidarität [… um] gerade unter den heutigen Umständen, […] Rivalitäten nicht wiederaufleben [zu lassen], sondern dass sich alle als Teil einer Familie erkennen und sich gegenseitig unterstützen.“
Die Verbreitung des Virus zeigt, wie eng wir in Europa und in der ganzen Welt verbunden sind. Es kennt keine Grenzen. Nationale Hilfemaßnahmen sind allein keine Lösung. Wir begrüßen die Schritte, die bereits auf nationaler wie europäischer Ebene eingeleitet wurden zur Förderung der länderübergreifenden Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich. Das gleiche gilt für die anderen großen Herausforderungen unserer Zeit, besonders die weltweiten Migrantenströme und den fortschreitenden Klimawandel, auf die es eine gemeinsame starke Antwort der europäischen Staaten geben muss. Wir müssen in Europa unsere Werte leben. Dazu zählt vor allem die gegenseitige Hilfeleistung, die Solidarität untereinander. Sie zeigt sich auf drei Ebenen:
Zwischenmenschliche Solidarität
Im sozialen Nahraum zeigt sich Solidarität in gelebter Nächstenliebe, in Rücksichtnahme und gegenseitiger Achtsamkeit. Sie zeigt sich in diesen Zeiten zum Beispiel in der Unterstützung der besonders gefährdeten Gruppen: Ältere, Schwache und Kranke, für die Jüngere Einkaufen gehen und über Telefonate mitteilen, ihr seid nicht allein. Sie zeigt sich auch in der wirtschaftlichen Unterstützung für all diejenigen, die durch die Einschränkungen in ihrer Existenz gefährdet sind, materiell – weil sie ihre Arbeit verloren haben oder psychisch – weil sie sich in einer ausweglosen Lage sehen. Wir begrüßen die zahlreichen Initiativen in all den Ländern der Union, die von dieser Kultur der Aufmerksamkeit für die Nächsten zeugen. Als Christen unterstützen wir diese Kultur, die auf der Ebene der Familie beginnt.
Europäische Solidarität
Die Lebensstandards und die ökonomische Ausgangslage unterscheiden sich in den einzelnen europäischen Ländern stark. Die gegenwärtige Krise könnte diese Diskrepanzen sogar noch verschärfen. Die europäischen Institutionen sollten sich von der neuen Haltung der zwischenmenschlichen Solidarität inspirieren lassen. Wir fordern sie auf, die Lasten, die jetzt entstehen, gemeinsam und solidarisch zu tragen. Die EU benötigt jetzt ein neues European Recovery Program, das effektiv und nachhaltig Konsum und Nachfrage ankurbelt und die Wirtschaft und Gesellschaften Europas stützt ohne dabei die ökologischen Erfordernisse außer Acht zu lassen. Ein ehrgeiziger mehrjähriger Haushaltsrahmen sollte seine treibende Kraft sein. Wir sehen ausdrücklich die digitale und die ökologische Transformation als wesentliche Elemente eines möglichen Aufschwungs der EU. Auf keinen Fall dürfen dabei die ursprünglich geplanten Ziele des europäischen "Green Deal" aufgeweicht werden. Dabei müssen wir auf eine schnelle Rückkehr zu den Grundfreiheiten des Binnenmarkts achten, die sich zum Beispiel in den offenen Grenzen zeigen.
In der gegenwärtigen Situation werden vorübergehend, neben Errungenschaften der europäischen Integration wie der Reisefreiheit, auch Grundrechte eingeschränkt. Diese Maßnahmen müssen zeitlich begrenzt bleiben. Sie müssen regelmäßig auf ihre Notwendigkeit und Angemessenheit hin überprüft werden. Besonders in einer Krise ist es wichtig, zuverlässige Nachrichten zu erhalten und das Recht auf Meinungsfreiheit nicht zu beschneiden. Grundrechte müssen sich auch gerade in Krisenzeiten bewähren und ein Funktionieren demokratischer Strukturen gewährleisten.
Weltweite Solidarität
Aber Europa darf sich nicht abschotten. Unsere Solidarität zeigt sich darin, Menschen weltweit bessere Lebensperspektiven zu eröffnen. In vielen Teilen der Welt sind Menschen existentiell bedroht durch das Virus, aber auch durch andere Situationen, wie Armut, Hunger und zunehmende Naturkatastrophen. Sie brauchen Rahmenbedingungen, um in ihren Heimatländern eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Hierbei ist Europa gefordert, unter anderem indem es ihnen faire Handelsbedingungen und die Grundlagen einer gerechten Wirtschaft garantiert. Wir unterstützen ein Schuldenmoratorium, welches einer neue Schuldenfalle vorbeugen soll, in die die Länder des Südens durch die wirtschaftliche Krise unverschuldet geraten.
Die Verantwortung Europas gilt auch den Menschen an unseren Außengrenzen. Wir müssen Flüchtlinge, vor allem besonders gefährdete Kinder und ihre Familien sowie Jugendliche, aufnehmen. Wir fordern die Europäische Kommission nachdrücklich auf, einen neuen Pakt für Migration und Asyl zu schließen, der auf echter Solidarität mit den Ländern an den Außengrenzen der EU basiert.
Persönliche Aufmerksamkeit in einer solidarischen Zukunft
Wir lernen aus der Krise, dass globales Handeln ebenso möglich ist wie individuelle Verhaltensänderungen. Diese müssen in gute institutionelle Rahmenbedingungen eingebettet sein. Daraus ziehen wir die Kraft zu einer ökologischen Transformation und einer anderen Globalisierung, die nicht nur den europäischen Bedürfnissen gerecht wird. Die Bewahrung der Schöpfung und der Erhalt des gemeinsamen Lebensraums stehen nicht im Widerspruch zu wirtschaftlichen Interessen. Vielmehr können wir alle im Sinne von Laudato sì und aus dem Geist der christlichen Soziallehre daran mitarbeiten, dass die Achtung und der Schutz eines jeden Menschen und die Förderung des Gemeinwohls gleichermaßen ihr Recht und ihre Notwendigkeit haben.
Erstunterzeichner der Erklärung
Semaines Sociales de France (SSF)
Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK)
ANDANTE (Europäischer Dachverband katholischer Frauenorganisationen)
Europäisches Laienforum (ELF)
Katholische Aktion Österreich (KAÖ)
Katholischer Laienrat Österreich (KLRÖ)
The National Board of Catholic Women of England and Wales (NBCW)