Heilt die Welt
Als aufrüttelndes biblisches Beispiel hörten die Teilnehmer:innen der 3. Europäischen Sozialtage in Bratislava beim Eröffnungsgottesdienst die Geschichte vom reichen Prasser und dem armen Lazarus.
Geschildert wird dort der Tisch der Ignoranten, des Wegschauens. „Wir brauchen eine Kultur des Hinschauens und der Compassion, eine Stärkung der globalen Gemeinschaft in Solidarität, ein neues Verknüpfen, Verbünden, um die Welt zu heilen.“ Angesichts des Angriffskrieges auf die Ukraine spricht Papst Franziskus in seinem Grußwort vom „perversen Missbrauch der Macht“. Solidarität und soziale Gerechtigkeit sind die Lösung. Immer wieder ertönt der Ruf nach einer neuen Geschwisterlichkeit. „Liebe, Verstehen, Toleranz führt zum Frieden“, legt die Präsidentin der Slowakei Zuzana Čaputová den etwa 150 Teilnehmer:innen in den Raum: Wir sind alle in einem Boot unterwegs.
Foto: Ferdinand Kaineder, Präsident der KAÖ und Markus Schlagnitweit, Direktor der KSÖ waren als Ö-Delegierte vor Ort in Bratislava.
Faktencheck
Ein ausführlicher wie eindringlicher Faktencheck steht am Beginn der dreitägigen Beratungen zur sozialen Situation in Europa, gerade im Kontext der Pandemie, des Krieges und des Klimawandels, anthropologisch, sozio-ökonomisch und sozio-ökologisch betrachtet. Klar wurde dabei, „dass der Mensch radikal die Begrenzungen der Erde in ihren Ressourcen respektieren muss. Es ist eine Entwicklung gefordert, die ohne Wachstum gehen muss, den CO2-Ausstoß radikal verringert (Dekarbonisierung) und Solidarität und Beziehungsqualität auf allen Ebenen in den Vordergrund rückt.“ Aus einer theologischen Perspektive wurde festgehalten, „dass das Evangelium immer einen inklusiven Zugang hat. Mit Blick auf die Tradition der ersten Jesusbewegung sehen wir barrierefreie, barmherzige und gemeinsame Lebenshaltungen und Praxis. Service and unite – sind heute von der Kirche gefragt. Das Evangelium ist immer mit der sozialen Tat verknüpft.“ Angesichts der Flüchtenden aus der Ukraine wurde klar festgehalten: „Wir haben die Pflicht zu helfen, Menschen aufzunehmen und wieder neu zu verbünden.“
Themenfelder
Drei besondere Themenflächen standen in Bratislava im Fokus. Die demografische Entwicklung Europas und das Familienleben, die technologische und digitale Transformation mit ihren Chancen und Gefahren und speziell die ökologische Transformation. „Den Menschen helfen, mehr nachzudenken, zu reflektieren und selbst Verantwortung zu übernehmen in der alltäglichen Nutzung der digitalen Tools. Dabei gilt es, aus dem dauernden Vergleichen und dem Wettbewerbsdenken herauszukommen und einzutauchen in eine tiefgehende Collaboration anzustreben. In den kritischen Fokus rücken sollten dabei die unsichtbar implementierten Werte und Geschäftsmodelle, die hinter allen digitalen Möglichkeiten, Geräten und Anwendungen wirken.“ Das Digitale ist nicht einfach neutral, sondern bringt seine eigene Kultur mit. Dazu kommt, dass die immer größer werdenden Data-Farmen immer mehr wertvolle Rohstoffe und vor allem Energie verbrauchen. Die Monopolstellung der Tech-Konzerne lässt uns kaum noch eine Wahl, nein zu sagen, nicht zuzustimmen, auszusteigen. Es ist ein Kampf um Aufmerksamkeit im Gange. „Die implementierte zunehmende Geschwindigkeit hält ab vom Nachdenken und von der Reflexion. In Verantwortung nutzen und Folgewirkungen abwägen ist der kirchliche Zugang.“ Ein besonderes Augenmerk sollte auf den „homo cooperativus“ im Gegensatz zum „homo oeconomicus“ gelegt werden.
Change mind and hearts
Wie sich der Ukraine-Krieg durch alle Fragestellungen gezogen hat, so auch die aktuelle dramatische Klimakrise. Die Wiener Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb ließ keinen Zweifel, dass die Erderwärmung dramatisch fortschreitet und in Folge im Verlust der Biodiversität ein noch größeres Problem auf die Menschheit zukommt. „Wir bewegen uns in gefährlichen Gegenden im biologischen und sozialen System. Menschliche Sicherheit und ökologische Grenzen sind zwei Seiten einer Sache.“ Immer wieder wird Laudato si als zentrales Dokument für die Zukunftsarbeit herangezogen. Klar ist: Es braucht eine konsequente Reduktion von Emissionen, bis 2030 auf die Hälfte und bis 2050 auf Null. „Ein dramatischer Änderungsbedarf ist uns aufgegeben.“ Der Fokus auf Suffizienz im Mindset und Lifestyle wird uns auf alle Dinge einen radikalen Zugang eröffnen, um das technokratische Wachstumsbild zu verlassen. „Die Lösungen liegen in der Veränderung des Systems der Übernutzung und der Ignoranz der sozialen Seite des Klimawandels. Nicht, was ich möglich, sondern was ist notwendig, wird die Zukunftsfrage. Immer wieder der Aufruf der Referierenden: Change mind and hearts. Die Religionen und Kirchen sollten gerade jetzt ihre „intrinsischen Werte an die Menschen adressieren, weil die extrinsischen Werte nicht in die Zukunft tragen werden“.
Persönliches Resumee
Ferdinand Kaineder zieht persönlich Bilanz: „Die Expertinnen und Experten zeichneten ein sehr aktuelles Bild der Herausforderungen. Da wird wirklich professionell und ungeschminkt hingeschaut und analysiert, gerade auch von den kirchlichen Fachstellen, die beispielsweise für Digitalisierung oder Ökologisierung zuständig sind. Unbestritten ist der volle Einsatz für die Flüchtlinge von Seite der Diözesen und sozialen Werke und das Engagement für Maßnahmen, die die Erderwärmung stoppen und das Ende der Ausbeutung der Erde vorantreiben. Das Bewusstsein, dass die soziale Frage drängt, ist gewachsen. Gleichzeitig wurde sichtbar, dass in Europa recht unterschiedliche Zugänge und kirchliche Kulturen vorhanden sind. Das hat vor allem auch damit zu tun, wie Kirche in der jeweiligen Gesellschaft "verortet" ist. Das sozial-ökologisch-spirituelle Welt- und Menschenbild des Papstes in Laudato si wurde mehrfach als besonderer Weg in die Zukunft in die Mitte gestellt. Das nehme ich wieder als persönliche Bestärkung mit. Es wird jetzt darauf ankommen, dass die Teilnehmenden (insbesondere auch die Bischöfe) die sozial-ökologische Herausforderung ganz konkret im Alltag annehmen, beispielsweise der drohende Verlust der Biodiversität. Die Welt stellt Fragen und hat Notsituationen, die Kirche in seiner Vielfalt sollte federführend bei der Beantwortung dabei sein, auf den verschiedenen Ebenen.“
Mehr über die 3. Europäischen Sozialtage: hier
(fk/ps/21.3.2022)