Besser (ver)teilen – besser leben
Verteilungsgerechtigkeit hat immer mit Machtverhältnissen, Machtverteilung und Partizipationsmöglichkeiten zu tun. Der Befund für Österreich im Staatenvergleich: äußerst ungerechte Verhältnisse!
Wie kann Umverteilung gelingen, dass jede*r einen fairen Anteil am Volksvermögen hat? Etwa 50 Personen beschäftigten sich damit am Samstag, 2. April 2022 im Linzer Diözesanhaus bei der Veranstaltung "Besser (ver)teilen – besser leben" und schauten auf nationale wie internationale Sachverhalte und auf den Care-Bereich, gemeinsam mit den Referent:innen Anja Appel, Philip Gerhartinger, Martina Kronsteiner und Katja Winkler. Die Veranstaltung, organisiert von mensch & arbeit und vom Sozialreferat der Diözese Linz, fand im Rahmen der Generalversammlung der Friedensbewegung Pax Christi Österreich und des Forum mensch & arbeit der Katholischen ArbeitnehmerInnen Bewegung (KAB) und der Betriebsseelsorge OÖ statt.
Den Auftakt der Veranstaltung machte Philipp Gerhartinger, Arbeiterkammer OÖ, mit Informationen zur aktuellen Verteilungssituation in Österreich, gefolgt von einer theologischen Intervention von Katja Winkler, Assistenzprofessorin an der Katholischen Privatuniversität Linz. Anschließend konnten die Teilnehmer*innen aus drei Workshop-Optionen wählen.
Mehr als 17 Prozent der gesamten österreichischen Bevölkerung sind armutsgefährdet und damit betroffen von einem schlechteren Zugang zu Gesundheitsleistungen, von schwierigen Arbeitsbedingungen und geringeren Partizipationsmöglichkeiten.
Weiters ist Vermögensungleichheit ein großes Problem in Österreich: Es besteht keine Chance, durch Arbeit Vermögen zu erwerben – dies ist nur durch Erbschaft möglich. Sehr wenige Menschen in Österreich haben sehr viel, während der überwiegende Teil der Bevölkerung kaum über Vermögen verfügt. Das vermögensstärkste eine Prozent besitzt 39 Prozent des gesamten Vermögens. Wirtschaftsexperte Gerhartinger sieht durch diese Vermögenskonzentration und durch die Tatsache, dass ökonomische Stärke meist auch Macht in anderen Bereichen bedeutet, ein Demokratieproblem in Österreich – besonders im Hinblick auf die Medienlandschaft. Lösungsmöglichkeiten sieht er in einer gerechteren Steuerpolitik und einem starken Sozialstaat als Instrument zur Umverteilung.
Trotz vieler Schwierigkeiten hat Österreich einen sehr guten Sozialstaat, doch es gibt genügend Reformpotential. Letztlich ist es der politische Wille, der die Umsetzung entweder fördert oder behindert. Viele Vorschläge liegen am Tisch. Als Beispiele führte Gerhartinger Folgendes an: Begrenzung von Managergagen, kräftige Lohn- und Gehaltssteigerungen, Einführung einer Millionärssteuer, Einführung einer Finanztransaktionssteuer, Maßnahmen gegen die internationale Steuervermeidung. Die aktuellen Machtstrukturen führten aber dazu, dass viele Maßnahmen nicht umgesetzt werden.
Katja Winkler knüpfte in ihrem Input an die Inhalte von Philip Gerhartinger an: In der katholischen Tradition war Ungleichverteilung immer Thema. Daraus ist die katholische Soziallehre entstanden, vor allem angesichts der Verelendung der Arbeiter*innenschaft in der damaligen Zeit. In der christlichen Sozialethik wird thematisiert, dass durch Ungleichverteilung von Reichtum Partizipationsprobleme entstehen – es gibt weniger Möglichkeiten, an demokratischen Prozessen teilzunehmen, und dadurch sinkt auch das Vorantreiben einer gerechteren Verteilung. Eine demokratische Neugestaltung der Verteilungsordnung sei also eine große Herausforderung.
Katja Winkler nannte Wege, die die katholische Soziallehre vorschlägt, um dieser Problematik entgegenzuwirken. Ein wichtiges Themenfeld ist die Option für die Armen. Dabei soll die politische Teilhabe von allen Menschen gestärkt werden, Menschen sollen als Subjekt wahrgenommen und die Solidarität mit armen Menschen verstärkt werden. Wesentlich ist es, die Perspektive der Marginalisierten und Exkludierten einzunehmen. Ein massives Eintreten für den Sozialstaat, im Sinne von Umverteilung und Vermögenssteuern, benennt Winkler als essenziell.
Im zweiten Teil dieser Vormittags-Veranstaltung wurde in Workshops der Fokus auf drei Teilbereiche von Verteilungsgerechtigkeit gelegt:
Verteilung im Care-Bereich
Hier berichtete die Betriebsrätin Martina Kronsteiner über die Genese der Pflegeberufe und von der aktuellen Situation im Pflegebereich. Der Care-Bereich ist so wichtig wie nie zuvor, wird jedoch immer noch geringgeschätzt. Ungerechtigkeit in diesem Bereich lassen sich festmachen an: Entlohnung, Arbeitszeiten, gesellschaftliche Bewertung und unterschiedliche Rollenerwartungen an Männer und Frauen (Väter und Mütter). So bestehen auch die dringenden Handlungsansätze zur Verbesserung vor allem in einer dem Wert der Arbeit entsprechenden Entlohnung und einer fairen Aufteilung der Arbeitszeit (inklusive der unbezahlten Care-Arbeit). Dazu muss sich der Stellenwert der Geschlechter verändern. Als konkrete Vorschläge benannten die Teilnehmer*innen: streiken, ein verpflichtendes Care-Jahr für alle, mehr Kinderbetreuungsplätze und ein verpflichtendes Karenzjahr für Männer.
Internationale Verteilung
Globale Ungleichverteilung am Beispiel Brasilien wurde im Workshop International mit der Referentin Anja Appel, Geschäftsführerin der Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für Entwicklung und Mission (KOO) thematisiert. Was ist dort passiert, während die Gesellschaft hier sich mit der Corona-Pandemie beschäftigt hat? Welche Rolle spielt die Kirche in der Debatte über globale Ungleichverteilung? Wichtig sei es jedenfalls, Strukturen der Ungleichheit klar zu benennen und darauf hinzuweisen, dass Eigentum Menschen verpflichtet, dem Gemeinwohl zu dienen, so Appel. Die Stimmen der Gewerkschaften aus Ländern des globalen Südens, Frauen im Allgemeinen und die Wissenschaft sollten international mehr Gehör finden. Die Frage nach der persönlichen Verantwortung wurde auch gestellt: "Wie müssen wir uns selbst transformieren?" Stichworte dazu waren: Reduktion, Demut, Genügsamkeit, bewusster Verzicht und Abrüstung auf allen Ebenen.
Nationale Verteilung
Philip Gerhartinger vertiefte das Thema seines Einstiegreferates noch einmal im Workshop mit den Teilnehmenden. Eine Frage, die hier gestellt wurde: Wie sieht entsprechende Bildungsarbeit hier aus? Wichtig sei es, Positionen zu schärfen, konfliktfähiger zu werden, keine Scheu zu haben, sich klar zu positionieren und kritisches Denken zu schärfen.
Konkretisierung des Studienteils beim Forum mensch & arbeit
Am Nachmittag wechselten die Mitglieder des Forum mensch & arbeit ins Cardijn Haus und arbeiteten in Gruppen an den drei Unterthemen des Studienteils weiter. Hier ging es speziell um die Frage, wie das Gehörte sich in den nächsten Monaten auf die konkrete Arbeit in KAB und Betriebsseelsorge auswirken kann.
Als ein wesentlicher Aspekt zog sich dabei die Erkenntnis durch, dass bestehende Verteilungsungerechtigkeiten klar benannt und immer wieder (öffentlich) thematisiert werden müssen – in Gottesdiensten genauso wie in Bildungsveranstaltungen und kleineren Themengesprächsrunden. Besonders im Care-Bereich sei ein Dranbleiben, ein Bündeln von Aktionen gerade jetzt notwendig, der Welttag für menschenwürdige Arbeit am 7. Oktober biete dafür eine gute, nächste Gelegenheit. Im Forum war man sich einig: Nur im solidarischen Zusammenstehen können Verbesserungen bewirkt werden.
Mit einer kurzen liturgischen Feier beendeten die Forumsmitglieder diesen äußerst spannenden und produktiven Tag. (Bericht: Katrin Pointner und Elisabeth Zarzer)
(eo/5.4.2022)