Sigrid Kickingereder: Lieferkettengesetz muss „das zerstörerische Gesicht der Wirtschaft“ verändern
Ein europäisches Lieferkettengesetz ist nach Ansicht der Bundesgeschäftsführerin der Katholischen Jungschar, Sigrid Kickingereder, dann „sinnvoll und ein Erfolg“, wenn es „systematisch dazu beiträgt, das zerstörerische Gesicht der globalen Wirtschaft zu verändern“. Das sagte Kickingereder bei einer Veranstaltung am 4. November im Haus der Europäischen Union in Wien, bei der der im Februar 2022 vorgestellte Entwurf für ein europäisches Lieferkettengesetz zur Debatte stand.
Kickingereder, die im Namen der Dreikönigsaktion, dem Hilfswerk der Katholischen Jungschar Österreich, die Veranstaltung einleitete, verwies auf den programmatischen Satz von Papst Franziskus in seinem Antrittsschreiben Evangelii Gaudium „Diese Wirtschaft tötet“. Papst Franziskus habe damit zum Ausdruck bringen wollen, dass das globale Wirtschaftssystem in eine Schieflage geraten sei, dass „in blinder Marktgläubigkeit und mit immer neuen Konsumversprechen“ Menschen ausgebeutet, an den Rand gedrängt und „tatsächlich getötet“ würden.
Beispiele dafür hätten die Staudammkatastrophen in Mariana (Brasilien) im Jahr 2015 und Brumadinho (Brasilien) im Jahr 2019 geliefert: „300 Menschen starben, ganze Landstriche wurden verwüstet, Wasser wurde dauerhaft vergiftet“. Für die Dreikönigsaktion als Organisation, die sich für Kinder engagiert, sei dabei besonders gravierend, was Kinder erlitten hätten: „Kinder sind traumatisiert, entwurzelt, und – wie es Projektpartner*innen der Dreikönigsaktion immer wieder formulieren – haben ihre Kindheit verloren.“
Auch für die österreichische Wirtschaft sei der in Mariana und Brumadinho abgebaute Rohstoff, Eisenerz, von großer Bedeutung. Gemeinsam mit mehreren Forschungseinrichtungen hat die Dreikönigsaktion mehr als ein Jahr an einer Fallstudie gearbeitet, um „systemisch anzuschauen, wo die Probleme in der Lieferkette liegen und wo es Verbesserung braucht“. Ein Befund, so Kickingereder: „Es gibt ein frappierendes Defizit an Transparenz. Als einziges Land der EU veröffentlich Österreich seit 2018 keine Importdaten zu Eisenerz.“ Es müsse gefragt werden: „Woher kommt nach Österreich importiertes Eisenerz? Unter welchen Bedingungen wird es gefördert?“ Die österreichische Gesellschaft wisse das nicht. Ein weiterer Befund aus der Studie: „Es gibt viele Initiativen, die angetreten sind, Dinge zu verbessern. Aber werden sie in der Lage sein, zu verhindern, dass sich weitere derartige Tragödien ereignen?“ Laut der zuständigen brasilianischen Behörden seien rund 40 Staudämme hoch riskant und könnten jederzeit brechen: „Das Schockierende daran: der Erzabbau geht inzwischen weiter und Rekordgewinne werden eingefahren“ (die Studie der Dreikönigsaktion ist abrufbar unter www.dka.at/rohstoffe/fallstudie-engagement-beweisen).
Ein europäisches Lieferkettengesetz müsse betroffenen Kindern in Brumadinho und Mariana helfen, so Kickingereder. Es müsse derartige Tragödien in Zukunft verhindern helfen, dazu beitragen, dass „Firmen und Entscheidungsgträger:innen, die menschliches Leid, ja sogar Tote und massive Verwüstung in Kauf nehmen, damit die Unternehmenszahlen stimmen, zur Verantwortung gezogen werden“. Und: „Es muss für einen Ruck in ganzen Branchen sorgen, dass Probleme angegangen werden und nicht nur der Papierkram stimmt“.
Weitere Mitwirkende der Diskussionsveranstaltung waren Evelyn Regner, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Carolina do Moura Campos vom Instituto Cordilheira in Brasilien, Julia Wegerer vom Österreichischen Gewerkschaftsbund, Alma Zadic, Bundesministerin für Justiz, Andrea Reitinger von EZA Fairer Handel, Michaela Krömer, Rechtsanwältin (Klimaklage), Karin Lukas vom Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte, Sarah Bruckner von der Arbeiterkammer Wien und Danilo Chammas, Menschenrechtsanwalt, der mit dem Brumadinho-Fall befasst ist.
(eo/9.11.2022)