Geschlechtergerechtigkeit: Es gibt (noch) nichts zu feiern
Eindringliche Rufe nach weiteren Maßnahmen, um tatsächliche Geschlechtergerechtigkeit herzustellen, kommen aus der Katholischen Aktion im Blick auf den Internationalen Frauentag am 8. März. Die Katholische Frauenbewegung (KFBÖ) und die Katholische Arbeitnehmer:innen-Bewegung (KABÖ) fordern, dass die Sorgearbeit endlich gerecht auf Frauen und Männer aufgeteilt wird. KAÖ-Vizepräsidentin Katharina Renner betont, Normalität im Verhältnis der Geschlechter ist alles andere als gegeben, und sie ermutigt zum weiteren Kampf um Frauenrechte.
„Die Katholischen Frauenbewegung setzt sich für Geschlechtergerechtigkeit ein, seit es sie gibt; sie tut dies innerhalb der Katholischen Kirche - in den Pfarren, den Diözesen, auf weltkirchlicher Ebene – sowie in der Öffentlichkeit. Der 8. März ist eine Gelegenheit, auf das Erreichte ebenso zu schauen wie auf die Defizite, die die KFB vor allem im Care-Bereich immer noch ortet“, erklärt die KFBÖ in einer Stellungnahme zum 8. März.
Wie können wir den Gender-Care-Gap schließen?
Sowohl im gering bezahlten professionellen Care-Bereich wie Kinderbetreuung und Pflege als auch in Form von unbezahlter Arbeit im Haushalt, Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen sind es immer noch überwiegend Frauen, auf denen die Last der Sorgearbeit ruht. Nach einer in Deutschland durchgeführten Studie leisten Frauen durchschnittlich 4 Stunden und 13 Minuten Sorgearbeit am Tag, Männer nur 2 Stunden und 46 Minuten. Das entspricht täglich rund 87 Minuten Mehrleistung für Care-Arbeit. Der Gender-Care-Gap liegt damit in Deutschland bei 52,4 Prozent. Eine vergleichbare Studie in Österreich läuft gerade.
„Geschlechterungerechtigkeit in der Care-Arbeit ist eine Folge von gesellschaftlichen Wertehierarchien. Wenn wir wollen, dass Männer ihren Teil leisten, müssen wir diese Hierarchien umdrehen“, betont KFBÖ-Vorsitzende Angelika Ritter-Grepl. Wie kann das gelingen? „Dafür möchte ich einen Gedanken von Alessandra Smerilli, Sekretärin des vatikanischen Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen, zitieren. Sie sagt: Geschlechtergerechtigkeit wird dann möglich sein, wenn wir uns nicht mehr gegenseitig fragen: ‚Was ist dein Beruf‘ sondern ‚Für wen sorgst du?‘“
„Wenn Sorge-Tragen für unsere Mitmenschen eine Quelle gesellschaftlicher Anerkennung wird, wird sie bald auch attraktiver für Männer“, so Ritter-Grepl.
Angelika Ritter-Grepl
„Nichts zu feiern“
Auch für KABÖ ist der Internationale Frauentag am 8. März „kein Anlass zum Feiern, sondern einmal mehr ein Frauenkampftag, an dem es um das Einfordern gerechter Rahmenbedingungen geht. Geschlechtergerechtigkeit muss endlich auf allen Ebenen verwirklicht werden“.
In Zeiten multipler Krisen wird die Benachteiligung von Frauen in vielerlei Hinsicht deutlich. Die Corona-Krise hat die überwiegend von Frauen geleistete unbezahlte Arbeit zwar sichtbar gemacht, an der ungerechten Verteilung, vor allem der für alle Bereiche notwendigen Sorgearbeit, ist jedoch keine Veränderung feststellbar, stellt die KABÖ fest. Fast die Hälfte aller Frauen arbeitet daher Teilzeit, hat ein geringes Einkommen und ist dadurch in Folge von (Alters-)Armut bedroht.
„Die von Frauen geleistete unbezahlte Sorgearbeit hat auch die unterbezahlte Arbeit in den typischen Frauenbranchen zur Folge,“ so Anna Wall-Strasser, Bundesvorsitzende der KABÖ. „Solange Care-Arbeit nicht fair auf Männer und Frauen verteilt ist, haben Frauen gesellschaftlich die allseits bekannten Nachteile zu tragen.“
Neue Vollzeit
Einmal mehr fordert daher die KABÖ eine generelle Arbeitszeitverkürzung, um Arbeit und Leben, Erwerbstätigkeit und Versorgungsarbeit in eine für alle lebbare Balance zu bringen. Die niedrigen Fraueneinkommen verursachen in der aktuellen Lage mit den stark steigenden Preisen ein existenzielles Problem für die Betroffenen. „Wenn Frauen, trotz der vielen Arbeit, die sie leisten, sich das Leben nicht mehr leisten können, ist das ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft,“ warnt Wall-Strasser.
Der Frauentag ist daher kein Anlass zum Feiern, sondern einmal mehr ein Frauenkampftag, an dem es um das Einfordern gerechter Rahmenbedingungen geht, damit Geschlechtergerechtigkeit auf allen Ebenen endlich ein Stück mehr verwirklicht wird. Die konkreten Forderungen sind daher immer noch die gleichen: ausreichende finanzielle Absicherung in allen Lebenslagen, kurze Vollzeit mit verschiedenen angepassten Arbeitszeitmodellen, der Ausbau guter Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Kinder und auch für ältere Menschen, eine kräftige Erhöhung der Löhne in Pflege- und Sorgeberufen.
„Die Solidarität unter Frauen, auch international, ist uns besonders wichtig. Deshalb beteiligt sich die KAB auch an Bündnissen und Aktionen anlässlich des 103. Internationalen Frauentages, etwa bei der Demonstration des Bündnisses 8. März in Linz“, so Anna Wall-Strasser.
Anna Wall-Strasser
Frau-Sein im Kampf um Normalität
KAÖ-Vizepräsidentin Renner schildert in einem Beitrag für die jüngste Ausgabe der Zeitschrift „miteinander“ der Canisiuswerkes Erfahrungen ihres Frau-Seins und den damit verbundenen „Kampf um Normalität“:
„Frau-Sein bedeutet für mich eine ganze Palette von einander auch widersprechenden Weltsichten und Empfindungen: In meiner Kindheit war ich – als Älteste von fünf Töchtern – von Mädchen und Frauen umgeben. Barbie-Puppen verweigerten uns unsere Eltern. Durch das fehlende ‚Komplementärgeschlecht‘ waren wir sehr frei zu wählen, was zu uns passt.
Wir wurden vom Umfeld nie in hübsch-brav oder stark-wild eingeteilt. In der Schule lernte ich aber schnell, wie Mädchen sind: Mädchen laufen nicht und sind nicht laut etc. Es war sehr anstrengend, dem zu entsprechen. Aber es gab kein Entkommen. In den letzten Jahren erleben wir eine Öffnung. Frauen sind immer noch das Andere, das Un-Eigentliche, der Nicht Normalfall. Aber die Art, wie junge Frauen mit ihrem Körper und ihrer Umwelt umgehen, imponiert mir sehr. Sie drücken sich nicht weg und haben eine Sicherheit, die es in meiner Jugend noch nicht gab.
Es gibt die Theorie, dass Frauen etwas sehr Mächtiges innewohnt – eine Verbundenheit mit den Anfängen, mit Gott. Es ist ein radikales Eins-Werden mit der Welt, wenn in einer Frau ein Kind heranwächst und wenn Frau und Kind gemeinsam die Geburt und die erste Zeit danach durchleben. Das macht denen, die diese Verbindung nicht haben, Angst. Und irgendwann bekamen Männer das Gefühl, diese Macht beherrschen (sic) zu müssen. Es ist typisch für unser Geschlechterverhältnis, dass die Frau als Besitz des Mannes gesehen wird. Bis hin zum gefühlten Recht auf Gewaltanwendung, wenn die Frau sich entscheidet, ihr Leben autonom, ohne den Mann führen zu wollen.
Was mein Leben als Frau demnach sehr prägt, ist diese Schicksalsgemeinschaft von klugen, starken, fähigen, weltzugewandten, ideenreichen Wesen, die in praktisch allen Teilen der Erde von der anderen Hälfte als nicht gleichwertig gesehen werden. Frau zu sein bedeutet für mich somit den Kampf für Frauenrechte, damit dadurch Normalität einkehrt im Verhältnis der Geschlechter.“
Katharina Renner
KAÖ-Dossier zum Thema "Geschlechtergerechtigkeit" abrufbar unter www.kaoe.at/dossiers
(jp, 7.3.2023)