Appell der Jugend: „Stehen wir auf gegen Fehlentwicklungen!“
Um zu zivilcouragiertem Handeln zu finden, braucht es heute vor allem eine Überwindung der Gleichgültigkeit. Das hat die Vorsitzende der Katholischen Jugend Oberösterreich, Magdalena Lorenz, bei der Befreiungsfeier am Sonntag in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen unterstrichen. Das Gegenteil von Zivilcourage seien oft nicht Angst, Feigheit oder böser Wille, sondern Unempfindlichkeit, Überforderung und Gleichgültigkeit der modernen Leistungsgesellschaft, „die den beherzten Einsatz für das Gute unterbinden“. – Die Katholische Jugend und die Katholische Jungschar haben am Jugendgedenkmarsch und an der zentralen Befreiungsfeier teilgenommen. Die Befreiungsfeiern, die vom Mauthausen-Komitee Österreich (MKÖ) organisiert bzw. koordiniert werden, standen in diesem Jahr unter dem Motto "Zivilcourage".
In den Gräueln des Zweiten Weltkrieges und der Unmenschlichkeit des Dritten Reiches hätten „die Macht der Härte und das Gesetz des Stärkeren“ ihren erschütternden Höhepunkt gefunden, sagte Lorenz bei dem Gedenken, zu dem viele junge Menschen gekommen waren. „Unsere besondere Bewunderung verdienen deshalb jene Menschen, die selbst unter diesen Bedingungen sich nicht der Indifferenz hingegeben, sondern durch ihr beherztes Handeln die höchste Form der Zivilcourage bewiesen haben. „Ein Einüben in eine solche Haltung, ein wacher Blick auf unsere Mitmenschen und der zivilcouragiere Einsatz für den bedrohten anderen ist dabei in Zeiten wie diesen, in denen es oft scheint, als würden die Mächte der Konkurrenz, der Härte und der Gleichgültigkeit erneut die Oberhand gewinnen, wichtiger denn je“, so die KJ-Vorsitzende.
Ihr Appell: „Stehen wir auf gegen das Unrecht und setzten wir uns dort ein, wo Menschen unsere Hilfe und Zuwendung benötigen! Die Geschichte kann sich dann nicht wiederholen, wenn wir bewusst aus destruktiven Mustern ausbrechen. Ich wünsche uns einen wachen Blick, der ein Aussteigen aus dem Hamsterrad ermöglicht, um die Zeichen der Zeit wahrzunehmen, zu deuten und dort einzuschreiten, wo es gefährliche Fehlentwicklungen gibt. Es ist nicht zuletzt die Aufgabe der Jugend, mit ihren Störungen anzuecken, wachsam zu sein und sich gegen die Indifferenz zu erheben.“
Die Quellen, aus denen sich Widerstand gegen Unrecht speist, können sehr unterschiedlich sein: persönliche Eigenschaften, weltanschauliche und politische Überzeugungen und auch der christliche Glaube, hielt Lorenz fest. Der Glaube stelle „die Frage nach einer Hoffnungsdimension, die das rein Irdische und Unmittelbare überschreitet“. „Auch wenn es manchmal so scheinen mag, als wäre dem 21. Jahrhundert das Transzendente endgültig abhandengekommen, so ist es doch ein prophetisch-kritischer Blick auf Machtstrukturen und die Not des anderen, die Anerkennung der eigenen Bedürftigkeit sowie die Furchtlosigkeit, die aus dem Wissen um mehr als die irdische Gegenwart rührt, die den Mut zu couragiertem Handeln verleihen kann“, so die KJ-Vorsitzende. Der Philosoph Theodor Adorno habe den Nationalsozialismus als „die Ideologie, die die Kälte verewigt“, bezeichnet „Es ist die Unempfindlichkeit gegenüber dem Schmerz, die die unvorstellbaren Gräuel, an die wir uns heute erinnern, möglich gemacht hat.“
Chalupka: „Vernichtung beginnt mit Diskriminierung“
Kirchenvertreter riefen bei einem Ökumenischen Gottesdienst im Rahmen der Internationalen Befreiungsfeier zu mehr Zivilcourage auf. "Zivilcourage ist Widerstand gegen jede Form der Diskriminierung", betonte der evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka in seiner Predigt. "Vernichtungsphantasien beginnen mit Diskriminierung: Wenn sich eine Gruppe über die andere stellt. Wenn Fremde mit abwertenden Bezeichnungen belegt werden. Wenn ihnen Gleichwertigkeit und Menschlichkeit angesprochen werden und sich die vermeintlich Überlegenen in den eigenen Vorurteilen suhlen. Es beginnt mit der Abwertung, dem Hohn und dem Spott und endet mit dem Befehl zu töten", warnte der Bischof.
An dem Ökumenischen Gottesdienst in der Kapelle der Gedenkstätte nahmen außerdem der Linzer Bischof Manfred Scheuer und der orthodoxe Erzpriester Ioannis Nikolitsis teil. Auch mehrere Vertreter der Katholischen Aktion nahmen teil. Stellvertretend für die vielen Opfer wurde bei dem Gottesdienst in besonderer Weise an drei Einzelschicksale erinnert. Der Gottesdienst ging der anschließenden Internationalen Befreiungsfeier im Gedenken an die Befreiung des Lagers vor 78 Jahren voraus.
Erinnerung an einzelne Opferschicksale
In Mauthausen war jede Form religiösen Ausdrucks verboten, galt als Widerstand und als ein Grund, ermordet zu werden. "Es durfte kein Anzeichen einer religiösen Hoffnung geben. In dieser Strenge stach Mauthausen selbst unter all den anderen Konzentrationslagern noch hervor", erinnerte Bischof Chalupka. Dennoch riskierten immer wieder Häftlinge, ihren Glauben zu zeigen und damit auch anderen Trost zu geben. Als Beispiel nannte Chalupka den Italiener Jacopo Lombardini, als Methodist Seelsorger, Schriftsteller und Lehrer am Gymnasium der evangelischen Waldenserkirche in Torre Pellice nahe Turin.
Sein Glaube und der Respekt vor dem Leben haben ihn in den Widerstand getrieben, so der Bischof: "Lombardini nahm selbst keine Waffe in die Hand, unterstütze aber den Widerstand. Dass es dazu keine Waffe braucht, hat er hier im Konzentrationslager gezeigt. Überlebende berichteten, dass Lombardini, der selbst an Skorbut erkrankt und in den Block 7 des Lagerlazaretts überstellt war, dort den jüngsten Internierten Unterricht in Literatur, Poesie, Ethik und Politik gab und den italienischen Mitgefangenen, unabhängig von ihrer Konfession, Trost zusprach. Auch Seelsorge gehörte zum Widerstand." Wenige Tage vor der Befreiung, am 24. April 1945, wurde Lombardini ermordet.
Stellvertretend für die etwa 190.000 in Mauthausen inhaftierten Personen, von denen mindestens 90.000 ermordet wurden, wurde bei dem Gottesdienst auch an Cesare Lorenzi (1903-1945), Jean Conseil (1921-2009) und Marcel Callo (1921-1945) erinnert. Lorenzi wurde wegen Teilnahme an einem Streik italienischer Arbeit in Mailand 1944 verhaftet und nach Mauthausen verfrachtet. 17 Tage nach der Befreiung starb er dort an den Folgen der KZ-Haft. Seine Tochter Raffaella Lorenzi erfuhr erst 18 Jahre später, dass er in Mauthausen begraben ist.
Conseil schloss sich als Student in Amiens dem französischen Widerstand an. Nach seiner Verhaftung wurde er im April 1943 nach Mauthausen deportiert. Er überlebte die Torturen der Arbeitseinsätze im Steinbruch und im Nebenlager Steyr, nach Erfrierungen an einem musste er als Hilfspfleger auf der Krankenstation arbeiten. Er erlebte die Befreiung des Lagers und konnte in seine Heimat zurückkehren. Seine Tochter Joelle Conseil-Becker hat von ihm den Satz überliefert: "Vergessen, das ist nicht möglich, aber verzeihen schon."
Callo, geboren in Rennes, wurde stark durch die Katholische Arbeiterjugend geprägt, er setzte sich stark für die Würde und Rechte der Arbeiter ein. 1943 wurde er zur Zwangsarbeit in einem Rüstungsbetrieb in Deutschland verschleppt, 1944 von der Gestapo verhaftet, weil er "zu katholisch" war. Er wurde in das Konzentrationslager Flossenbürg und dann Mauthausen deportiert, wo er im Stollen in Gusen arbeiten musste. Durch die extremen Arbeits- und Lagerbedingungen gesundheitlich sehr geschwächt, kam er am 5. Jänner 1945 bereits todkrank in das Krankenrevier. Am 19. März 1945 starb Marcel Callo im Alter von 23 Jahren. 1987 wurde Marcel Callo seliggesprochen. 1998 weihte Bischof Maximilian Aichern die erste "Marcel Callo-Kirche" Österreichs im Linzer Stadtteil Auwiesen.
Bischof Chalupka sagte im Blick auf die Schicksale der Opfer: "Sie alle haben widerstanden, Zivilcourage gezeigt. Es ist wichtig, dass man sich an ihre Leben erinnert. An jedes einzelne. Damit die Auslöschung nicht nach dem Tode der Opfer weitergeht."
(jp/5.5.2023)