Theologe Halik: Kirche braucht "radikalen Mentalitätswandel"
Die katholische Kirche tut in Zukunft gut daran, "den Stolz und die Arroganz der Besitzer der ganzen Wahrheit" abzulegen, sagt der Prager Religionsphilosoph Tomas Halik (75). Darunter sei aber keine "billige Modernisierung und Anpassung" zu verstehen, gemeint sei vielmehr ein "radikaler Mentalitätswandel", so Halik in einem Interview mit der "Kleinen Zeitung" (26.5.). "Wir müssen eine hörende Kirche sein, nicht nur eine lehrende Kirche, sondern vor allem eine lernende Kirche", zeigte sich der renommierte Wissenschaftler und Buchautor ("Der Nachmittag des Christentums") überzeugt.
Halik ist am Mittwoch (29. Mai, 19 Uhr) in Graz im Auditorium im Joanneumsviertel zu Gast bei der "Fronleichnamsakademie" der Katholischen Aktion, wo er zum Thema "Die Relevanz der Kirche. Christentum in Zeiten des Umbruchs" sprechen wird.
Die Kirche müsse, so Halik, "vom Katholizismus zur Katholizität gelangen". Es gelte "aus dem Gefüge ihres konfessionell geschlossenen klerikalen Systems zur Universalität im Sinn einer tieferen und weiteren Ökumene finden". Dieser Aufgabe habe sich schon das Zweite Vatikanische Konzil gestellt - "mit nur teilweisen Ergebnissen", betonte der Religionssoziologe. Der von Papst Franziskus eingeleitete Prozess der synodalen Reform nehme das Vorhaben aber wieder auf und entwickle es weiter, zeigte er sich überzeugt: "Synodalität ist eine neue Art, Kirche zu sein."
"Die Kirche soll ein Haus für alle sein", sagte Halik. So müsse aus einer bürokratischen Institution eine Kirche des "gemeinsamen Weges" werden, "ein flexibles Netzwerk der Kommunikation innerhalb der Kirche und der Kommunikation nach außen". Das erfordere eine Vertiefung der Ökumene, des interreligiösen und interkulturellen Dialogs. Dazu gehöre auch ein Bewusstsein für die ökologische Verantwortung für "die Umwelt, den Planeten als gemeinsames Haus der ganzen Menschheitsfamilie".
Christentum am Wendepunkt
Das Christentum sei in Europa und weltweit an einem Wendepunkt, hielt der Wissenschafter einmal mehr fest: "Es handelt sich um einen Prozess, der Ende des 20. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreichte: den Prozess der Globalisierung." Diese habe zum Ende des Kalten Krieges und zum Fall des Kommunismus beigetragen, der auf dem globalen Markt der Waren und Ideen nicht konkurrieren konnte. Heute sei die Welt in vielerlei Hinsicht miteinander vernetzt, gleichzeitig bekämen die Menschen ihre radikale Pluralität zu spüren, die neue Spaltungen und neue Spannungen hervorrufe - "auch in der Kirche, und zwar weltweit".
Säkularisierung "großes Geschenk"
Die Säkularisierung sei eine legitime Folge dieser historischen Entwicklung des westlichen Christentums, so der Religionssoziologe. "Sie ist ein großes Geschenk Gottes und eine Chance für die Kirche, denn sie befreit die Kirche von vielen sekundären kulturellen und zivilisatorischen Aufgaben, die sie in der Vergangenheit erfüllt hat", zeigte er sich überzeugt. Sie ermögliche ihr zudem, sich auf ihre eigene und "unersetzliche Mission" zu konzentrieren, nämlich "den Glauben, die Hoffnung und die Liebe treu zu leben und sie in verständlicher Weise als Inspiration für das Denken und den Lebensstil der gesamten Gesellschaft anzubieten".
Die Zukunft wird jedenfalls nach Überzeugung Haliks "viele verschiedene Arten des Christseins" mit sich bringen. Dies setze aber die Entwicklung einer Kultur des Respekts und der gegenseitigen Anerkennung voraus. Es gelte, sich sowohl "vom Eifer und vom Fanatismus der Revolutionäre und Inquisitoren" zu befreien, die den idealen Zustand schnell mit ihren eigenen Mitteln erreichen wollten, als auch von der Versuchung, sich "mit einem beliebigen Zustand von Kirche und religiösem Wissen" zufriedenzugeben. "Theologie darf nicht zu einer Ideologie werden. In unserer Theologie muss immer Raum sein für das Geheimnis, für weiteres Suchen, Fragen und stille Anbetung", so Halik abschließend.
Programm der Fronleichnamsakademie
(Anmeldung erforderlich)
(Quelle: Kathpress)
(jp/28.5.2024)