"Zivilgesellschaft muss kritisch bleiben können"
Anlässlich des weltweiten Klimastreiks ruft die Katholische Arbeitnehmer:innenbewegung Österreich (KABÖ) zur Teilnahme an der Demonstration „Demokratie wählen! Klima retten! Eine Welt gewinnen!“ am 20. September in Wien auf. „Demokratie braucht soziale Klimapolitik. Wir brauchen eine enkeltaugliche, soziale Politik, die Mensch und Mitwelt und somit das 'gemeinsame Haus' schützt. Sonst droht uns, dass mit dem Klima auch das Sozialsystem und die Demokratie kippen“, warnt Anna Wall-Strasser, Theologin und Bundesvorsitzende der KABÖ. „Die nächste Regierung muss daher insbesondere endlich ein Klimaschutzgesetz schaffen. Wir sind besorgt, dass in den Wahlprogrammen von ÖVP und FPÖ das Thema Nachhaltigkeit faktisch nicht vorkommt. Dies gilt es bei der Wahlentscheidung zu bedenken."
Wall-Strasser: „Landwirt:innen und Bewohner:innen vor allem im ländlichen Raum spüren die Auswirkungen der Klimaveränderung in Form von Extremwetterereignissen oder Wasserknappheit. Arbeitnehmer:innen sind unter der prallen Sonne oder in überhitzten Räumen Gesundheitsbelastungen und -risiken ausgesetzt. Kinder, armutsgefährdete und arme Menschen, ältere, kranke und andere vulnerable Personen sind besonders von den Auswirkungen des rapiden Klimawandels betroffen und brauchen Unterstützung. Die Liste der Betroffenen und der negativen Folgen allein in Österreich lässt sich fortsetzen. Noch viel mehr ist der globale Süden betroffen. Diejenigen, die historisch am wenigsten zum Problem der Erderhitzung beigetragen haben, sind die Leidgeplagtesten. Sie verlieren ihre Existenz- und Lebensgrundlagen. Es wird wenig beachtet, dass es meist ein Ursachenbündel an Fluchtursachen gibt. In Syrien etwa waren schwerwiegende Dürren und in der Folge Wasserknappheit ebenfalls Gründe für Fluchtbewegungen. Als Wähler:innen entscheiden wir mit, in welche Richtung wir weitergehen wollen.“
Karl Immervoll, Theologe und Bundesseelsorger der KABÖ, erinnert an die Soziallehre der Kirche, insbesondere an die Enzyklika "Laudato si" (LS) von Papst Franziskus: „Die dringende Herausforderung, unser gemeinsames Haus zu schützen, schließt die Sorge ein, die gesamte Menschheitsfamilie in der Suche nach einer nachhaltigen und ganzheitlichen Entwicklung zu vereinen, denn wir wissen, dass sich die Dinge ändern können." (LS 13). „Wir kommen heute nicht umhin anzuerkennen, dass ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussion aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde.“ (LS 49)
Für eine lebendige Zivilgesellschaft
Wall-Strasser weist in diesem Kontext auch auf den Bereich der Zivilgesellschaft hin: „Unsere Demokratie braucht eine lebendige Zivilgesellschaft. Doch die Zivilgesellschaft ist weltweit und auch in Europa unter Druck. Hier werden immer wieder Ungarn und Polen als Negativbeispiele genannt. Aber auch für Österreich weist eine Studie nach, dass nach Jahrzehnten einer relativ guten Kooperation der Politik mit einem Teil der zivilgesellschaftlichen Organisationen eine als rechtspopulistisch eingeschätzte Regierungskoalition innerhalb kürzester Zeit massive Veränderungen im gesellschaftlichen Klima, in den Möglichkeiten zivilgesellschaftlicher Partizipation und in der ökonomischen Situation kritischer Organisationen bewirkt hat. In Zusammenhang mit öffentlicher Finanzierung wird das Problem politisch motivierter Kürzungen bei kritischen zivilgesellschaftlichen Organisationen benannt.“
Aus aktuellem Anlass verweist die KABÖ auf eine am 5. September erfolgte parlamentarische Anfrage von FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Darin wird der Katholischen Fakultät der Universität Wien und der Katholischen Sozialakademie Österreichs „dirty campaigning“ auf Kosten der Steuerzahler:innen vorgeworfen, und es sollen in der Katholischen Sozialakademie (einer Einrichtung der Österreichischen Bischofskonferenz) „handelnde Personen“ „augenscheinliche Querverbindungen in die linke (politische) Szene aufweisen, etwa zu Klimaextremisten und linken NGOs“. Hintergrund ist die Veröffentlichung des Leitfadens „Christlich verantwortlich wählen“. Immervoll: „An diesem Beispiel lässt sich erahnen, womit bei einer Regierungsbeteiligung der FPÖ zu rechnen sein wird: Angriffe auf eine nicht gefällige Zivilgesellschaft und Wissenschaft, wo und wie es nur geht. Eine Zielrichtung, nämlich die ökonomische Basis von ungewünschten Akteur:innen zu treffen, scheint wahrscheinlich.“
"Wählen mit Mut, Vernunft und Zuversicht"
Wall-Strasser betont abschließend: „Die KABÖ als katholische Organisation gibt keine Wahlempfehlung ab. Die Parteien mit ihren Programmen bestimmen selbst die Nähe oder Distanz zu christlichen Positionen und zur Kirche. Die KABÖ-Initiative 'Wählen mit Mut, Vernunft und Zuversicht' lädt ein, für die liberale und soziale Demokratie und für eine offene Gesellschaft zu stimmen, ohne eine Empfehlung abzugeben. Wenn sich kirchliche Organisationen heute zu verschiedenen politischen Programmen äußern und auch Unvereinbarkeiten mit christlichen Positionen herausarbeiten (wie das die KABÖ für die FPÖ getan hat), dann ist das nicht vergleichbar mit 1934, als die Katholische Kirche eine Partei - die Christlich-Sozialen - und den Austrofaschismus unterstützt hat. Bei den heurigen Nationalratswahlen stehen alleine bundesweit neun wahlwerbende Gruppen zur Auswahl. Wir laden dazu ein, Demokratie zu stärken und 'mit Mut, Vernunft und Zuversicht' wählen zu gehen.“
Mit ihrem Aufruf „Wählen mit Mut, Vernunft und Zuversicht“ setzt die KABÖ gemeinsam mit zahlreichen Persönlichkeiten und Organisationen im Wahljahr 2024 ein Zeichen für Demokratie und eine offene Gesellschaft. Dabei empfiehlt sie die Katholische Soziallehre als Kompass. Die KABÖ unterstützt auch die Initiative „Demokratie und Respekt“, die die Stärkung der Werte und Institutionen der liberalen und sozialen Demokratie zum Ziel hat.
Einladung zur Beteiligung: Treffpunkt von Religions for Future Vienna bei der Demonstration „Demokratie wählen! Klima retten! Eine Welt gewinnen!“ am 20.9. in Wien ist um14.30 Uhr auf dem Musikvereinsplatz.
Weblinks: Zivilgesellschaft unter Druck; Wortlaut Anfrage Hafenecker
(jp/17.9.2024)